Getreide im Sonnenuntergang

Liebe geschundene Bauernseele…

… derzeit kreist wieder ein Gastbeitrag auf Bauer-Willi durch die Landwirtschafts-Community. Ein Beitrag mit wenig Fakten, aber ganz viel Emotionalität. Viele Landwirte stehen anscheinend kurz vor dem Burn-Out und sehen vor allem Leute wie mich als Feinbild Nummer 1. Dabei sollten wir alle Verbündete in der Sache sein.

Deshalb möchte ich die Gefühlslage des konventionellen Bauers aufgreifen und meine Sicht der Dinge schildern. Ich, den ihr so verachtet. Jemand, der selbst nicht im Stall steht, aber vom Schreibtisch, aus eurer Sicht, dumme Vorschläge bringt.

Wissenschaftsleugnung und Relativierung

In seinem Gastbeitrag schreibt Marian, dass wir uns heute Geschichten vom Klimawandel und vom Insektensterben erzählen. Alles sei nur ein Mythos und gefühltes Wissen.

Um Fragen zu klären, die man nicht auf einem einzelnen Acker beurteilen kann, sondern ein Gesamtbild benötigt, hat die Menschheit die Wissenschaft erfunden. Die funktioniert in ihrer Gesamtheit eigentlich ganz gut, wenn man weiß, wie man wissenschaftliche Informationen bewerten muss.

Wir würden zwar gerne mehr über das Insektensterben wissen, vor allem über einzelne Kausalketten, dass das Insektensterben existiert ist allerdings real und in vielen unterschiedlichen Studien global bewiesen worden. Eine gute Zusammenfassung liefert der Insektenatlas.

Über fast kein Themengebiet wird global mehr geforscht, als über den Klimawandel. Die Wissenschaftswelt ist sich einig, wie selten. Bei diesem Forschungsaufwand ist es äußerst unwahrscheinlich, dass ein großer Widerspruch existieren würde und keiner hätte ihn bisher gefunden. Die Ergebnisse vertrauenswürdiger Studien sammelt der IPCC.

Beide Probleme sind also real, erforscht und alles andere als Mythen.

Hauptschuldiger Landwirtschaft?

Es wird sich darüber aufgeregt, dass in der Öffentlichkeit nur die Landwirtschaft als Sündenbock dargestellt wird. Das beruht natürlich nicht auf Fakten, sondern auf Gefühlsduselei. Immer, wenn ich an der Ampel stehe, ist schließlich auch rot. Die Grünphasen speichert das Gedächtnis freilich nicht ab.

Aus großer Macht folgt große Verantwortung!

50,8 % der Fläche Deutschlands wird Landwirtschaftlich genutzt. Es wäre also legitim, wenn jeder zweite Artikel zum Insektensterben über die Landwirtschaft geht. Denn die Landwirtschaft ist der größte Hebel.

Danach kommt mit 29,8 % die Waldnutzung. Und die bekommen medial ihr Fett ebenfalls weg. Auch ich hab mich zum Thema Dürrehilfen schon kritisch über dessen Nachhaltigkeit ausgelassen.

14,3 % der Flächen in Deutschland sind Siedlungs- und Verkehrsflächen. In den sozialen Medien gibt es mit den Gärten des Grauens eine reichweitenstarke Seite, die auf insektenfeindliche Gärten herabblickt. Ich selbst hab mich mit dem Gartenamt angelegt, dass sie die Grünstreifen an der Straße nicht ständig kahl mähen und insektenfreundlicher arbeiten sollen. In unserem Stadtrat hat meine Partei ein Schottergartenverbot eingebracht, und vieles mehr.

Das Problem Insektensterben ist in jedem Lebensbereich irgendwie angekommen. Nicht nur ihr werdet dafür verantwortlich gemacht. Aber ihr habt den größten Hebel, also stellt euch der Kritik. Viele Bäuerinnen und Bauern tun das ja auch schon ohne groß polemisch rumzujammern.

Alle würden Hunger leiden

Was oft durchblitzt ist fehlendes Selbstwertgefühl. Niemand dankt der Landwirtschaft, dass sie uns die Nahrung herstellen. Und wenn sie diesen Job nicht selbstlos ausführen würden, würden wir verhungern. Mal abgesehen davon, dass ich so gut wie keiner Berufsgruppe einzeln danke und mir auch noch kein Bauer für irgendwas gedankt hat, frage ich mich, woher das Selbstverständnis kommt, dass ihr irgendwie wichtiger wärt, als alle anderen?

Knapp 30 % der weltweiten berufstätigen Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft. Das sind eine Milliarde Menschen. Eventuell nimmt sich der Gastautor da ein klein wenig zu wichtig. Ich denke, es würden sich Leute finden, die das übernehmen würden, wenn er aufgibt. Schlimmstenfalls muss man den Leuten halt mehr zahlen.

Zusätzlich erhält Technologie auch im Landbau mehr Einzug. Es ist mittlerweile möglich einen mittleren Hof mit viel Technik alleine zu führen, wofür man damals noch ein dutzend Mitarbeiter*innen benötigt hätte. Ich empfehle dazu die Arte-Doku „der digitale Bauer„. Das macht den einzelnen Menschen im Kapitalismus noch unwichtiger. Allerdings könnte man die frei werdende Zeit auch nutzen, Umweltschutz zu betreiben, denn das lässt sich schwerer automatisieren.

In seinem Gastbeitrag schreibt er, dass jeder Blühstreifen eine Ohrfeige für Menschen in Äthiopien, Pakistan oder Indien sei, die heute Hunger leiden. Aber ist es nicht eher so, dass wir unsere Lebensmittel lieber wegschmeißen, als sie zu teilen? 2 Milliarden Menschen könnten wir zusätzlich ernähren, wenn wir mit Lebensmitteln effektiver umgehen würden. Die hungernden Menschen profitieren derzeit eben nicht von unserer Überproduktion. Insektensterben und hungernde Menschen gegeneinander auszuspielen finde ich übrigens äußerst widerlich.

Ernährungssicherheit braucht keine Insekten, sondern Chemie

Nun kommt im Gastbeitrag eine Binsenweisheit nach der Nächsten. Beispiel gefällig? Was für den einen Gift ist, muss es für den anderen nicht sein. Schließlich kann man ja selbst so viel Schokolade essen, wie man möchte, Hunde aber würden bei großer Menge Schokolade sterben. Dieses hochkomplexe Beispiel wird jetzt auf Ackergifte projiziert.

Bloß weil man damit die Nerven der Insekten vergiftet, muss es ja nicht zwangsläufig schlecht für Menschen sein ist die These. Das sieht die Wissenschaft differenzierter. Man geht schon davon aus, dass zu hohe Werte für den Menschen schädlich sind. Die EFSA hat Hinweise gefunden, dass Neonikotinoide schädlich für die Entwicklung von Babys und Kleinkinder sind.

Außerdem, meint der Autor, sind Insekten in der modernen Landwirtschaft eh nicht wichtig. Man braucht maximal die Bienen, Hummeln und Marienkäfer. Alles andere seien eher Schädlinge wie Borkenkäfer, Eichenprozessionsspinner, Stechmücken und dergleichen.

Diese Aussage ist harter Tobak. Vor allem, weil kein einziges Bodeninsekt genannt wurde. Was ist mit dem Regenwurm? Oder der Dunkelbraune Kugelspinner? Er trägt einen entscheidenden Anteil daran, dass Humus auf den Feldern entsteht und so die Böden fruchtbar bleiben. Und die stehen nur exemplarisch für viele andere nützliche Insekten.

Infografik - Ursachen für das Insektensterben
Infografik by statista

Oder anders ausgedrückt: Nur die Wirtschaftsleistung der bestäubenden Insekten beträgt zwischen 235 und 577 Milliarden US-Dollar im Jahr. Und diese Aufgabe ist nur eine von vielen, die Insekten übernehmen.

Zurück zum Thema Bodenfruchtbarkeit: Im Jahr 2015 brachte die FAO eine Studie heraus, die den meisten Böden noch 60 Ernten vor der Unfruchtbarkeit bescheinigte. Bislang sind schon 25 % der weltweiten Ackerflächen unfruchtbar geworden. Diese könnten zusätzlich 1,5 Milliarden Menschen ernähren. Ich würde behaupten, Bodenfruchtbarkeit wäre schon ziemlich gut. Und ein entscheidender Beitrag dazu leistet eben jenes Humus, das zusätzlich noch Kohlenstoff speichern könnte, um uns im Kampf gegen den Klimawandel zu helfen. Aber das nur nebenbei.

Gut, man könnte jetzt argumentieren, man kann das vielleicht auch alles mit hochgezüchteten Samen und Spezialdünger erreichen. Das ist aber auch nicht gut für die Lebensmittelsicherheit, auf die der Autor so stolz ist.

Im Jahr 2009 beherrschte Monsanto 90 % des Weltmarktes bei genetisch veränderten Saatgut. Nicht nur die Marktmacht einzelner Konzerne gefährden die Lebensmittelproduktion, sondern auch die geringe Saatgutvielfalt.

Ok, vielleicht haben beispielsweise Hybridsamen eine höhere Produktivität. Aber was ist, wenn in einem Jahr ein Produktionsfehler auftritt oder es gibt dann doch Schädlinge, die auf die Hybridsamen Immunität gebildet haben und die Entwicklung eines Insektizids dauert ähnlich lange wie die Suche nach einem Impfstoff? Dann haben wir uns von wenigen Saatgutanbietern abhängig gemacht und die Weltproduktion bricht ein.

Durch geringe Artenvielfalt und Marktmacht großer Saatgut und Chemie-Anbieter ist die Lebensmittelsicherheit auf jeden Fall gefährdeter als durch ein paar Blühstreifen.

Hinzu kommt noch unsere Abhängigkeit von (Kunst-)dünger. Ein wichtiger Stoff dafür ist Phosphor. Eigentlich kommt Phosphor ziemlich häufig in der Natur vor. Leider ist es ziemlich aufwändig und kostspielig ihn zurückzugewinnen (zum Beispiel in der Kläranlage). Es gibt nur wenige große Phosphorminen auf der Welt. Deren Vorräte gehen in den nächsten 100 – 300 Jahren zu Ende. Klar könnte man jetzt Argumentieren, da ist noch genug Zeit, jedoch kann die Phosphorkrise schon jetzt durch Handelskonflikte real werden. Eine Kreislaufwirtschaft und gutes Bodenmanagement kann unsere Abhängigkeit enorm verringern.

Nur die konventionelle Landwirtschaft kann uns ernähren

Im Beitrag wird darauf verwiesen, dass immer mehr kleine Höfe sterben, wegen uns Träumern und die entstehenden BIO-Höfe sowieso nicht alle ernähren können, weil die angeblich nur halb so produktiv sind. Dabei stützt er sich vermutlich auf eine viel kritisierte Studie aus dem Jahr 2011. Aber da muss ich raten, mit Quellen haben es die Kollegen ja nicht so.

In der Wissenschaftswelt gibt es da durchaus andere Ansichten, je nach Berechnungsmethode. Klar ist, dass der BIO-Landbau vielerorts noch in den Kinderschuhen steckt und auch produktiver wird und sicher noch produktiver wird. Allerdings ist auch klar, dass bei zunehmenden BIO-Konsum der Fleischkonsum sinken muss, wenn der Flächenbedarf nicht steigen darf.

Infografik: Stickstoffdünger in der europäischen Landwirtschaft
Infografik by statista

Ziel sollte es doch sein, die Böden fruchtbar zu halten, Lebensmittelverschwendung zu bekämpfen und stabile ökologische Systeme zu etablieren, damit die Lebensmittelsicherheit auch in 100 Jahren gegeben ist? Oder ist da jemanden nur seine heutige Rendite wichtig?

Wer will, dass kleine Höfe erhalten bleiben, muss die arbeitsintensive Landwirtschaft fördern und beispielsweise Umweltleistungen bezahlen. Aber nicht noch mehr Privilegien für Großbauernhöfe fordern.

Wollen wir nicht das Gleiche?

Ich denke unterm Strich wollen wir alle das Gleiche. Eine umweltfreundliche Landwirtschaft, Ernährungssicherheit und keine Abhängigkeiten von einzelnen Großkonzernen.

Der Weg dahin ist viel Arbeit, es werden noch viele Experimente benötigt, aber auch Anpassungswille sowohl der Verbraucher*innen, als auch der Landwirtschaft. Wenn man einen Hof betreibt ist man auch immer ein Unternehmen und als Unternehmen muss ich mich flexibel den Zukunftsherausforderungen stellen oder ich gehe nun einmal unter. Die Zeit des „das haben wir schon immer so gemacht“ ist einfach vorbei.

Deshalb wäre es toll, wenn beide Seiten ihre Befindlichkeiten ablegen und konstruktiv zusammenarbeiten würden, wie es in vielen Fällen ja schon der Fall ist.

Denn in vielen Fällen wären wir Ökos gute Verbündete. Eben bei der Erhaltung kleiner Höfe, durch eine bessere Landwirtschaftssubventionspolitik oder beim Kampf gegen zu mächtige Freihandelsabkommen, die Produktionsstandards senken und es der heimischen Landwirtschaft schwer machen, am Markt zu bestehen.

Wieso viele kleine Landwirtschaftsbetriebe derzeit massive Lobbyarbeit für die große Agrarindustrie betreiben, obwohl sie davon selbst nicht profitieren, muss mir am Ende dann bitte noch jemand erklären. Das würde ich wirklich gerne wissen.


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2 Gedanken zu „Liebe geschundene Bauernseele…

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