Der kürzlich erschienene Insektenatlas bietet einen sehr guten Überblick, über den heutigen Wissensstand über Insekten.
Neben viel Allgemeinwissen, wie viele Insekten es gibt, warum man sie schützen soll, wie die aktuelle Bedrohungslage ist und welche Ursachen das Insektensterben hat, werden auch andere interessante Fragen geklärt. Zum Beispiel, ob wir die Bestäubungsleistung per Hand oder auch per Drohne durchführen können. (Spoiler: Ist teuer)
Ich habe einmal die für mich interessantesten Punkte für euch herausgesucht. Wer sich generell für das Thema Insekten, Insektensterben und Landwirtschaft interessiert, sollte sich den Insektenatlas komplett durchlesen. Ist auch sehr kurzweilig.
Wissenschaft international:
Verglichen mit Säugetieren, Pflanzen, Vögeln und Fischen sind Insekten kaum erforscht. Erst ein kleiner Teil weltweit ist überhaupt klassifiziert. Besonders wenig untersucht sind Vorkommen und Entwicklung über einen längeren Zeitraum außerhalb der USA und Europas.
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Studien belegen, dass in Europa und Nordamerika die Vielfalt und die Menge von Nachtfaltern (Motten), Schmetterlingen, Käfern, Wildbienen und anderen Insekten regional unterschiedlich, aber deutlich zurückgehen. Einzelne Analysen aus anderen Teilen der Welt beschreiben denselben Trend. So weist eine Untersuchung nach, dass auf der Karibikinsel Puerto Rico über einen Zeitraum von 36 Jahren die Biomasseverluste von Arthropoden im Regenwald zwischen 78 Prozent und 98 Prozent lagen; zu den Arthropoden gehören nicht nur Insekten, sondern auch Spinnen, Skorpione und Tausendfüßer.
Auch Studien aus Madagaskar und Neuseeland sowie die Roten Listen der UN-Weltnaturschutzunion (IUCN) zeigen, dass Insektenarten weltweit bedroht sind. Gleichzeitig weisen Arbeiten vor allem aus kälteren Regionen darauf hin, dass dort die Menge der Insekten zunimmt. So geht aus Untersuchungen in Russland hervor, dass die Anzahl der Springschwänze in der Tundra mit steigenden Temperaturen zugenommen hat. Insekten verschwinden vor allem von Äckern, Feldern und intensiv genutzten Wiesen.
Insektensterben Deutschland
Alle Datenreihen belegen einen Rückgang der Artenvielfalt und bestätigen eine teilweise dramatische Abnahme der Populationsdichte. Bei den Schmetterlingen gehen vor allem die Spezialisten verloren.
Hierzu zählen Tagfalter, deren Larven auf bestimmte Futterpflanzen angewiesen sind. Langzeiterfassungen in mehreren Regionen Deutschlands halten dauerhafte Verluste von über 70 Prozent der Arten fest. Unter den Wildbienen zeigt knapp die Hälfte der 561 Arten Rückgänge.
Neben dem Verlust der Habitate könnte die weite Verbreitung der hochwirksamen Neonicotinoide aus der Gruppe der Insektizide beigetragen haben, dass die Wildbienen so stark zurückgegangen sind. Über einen Zeitraum von 46 Jahren sank auf der Schwäbischen Alb die Zahl der Nester einer Schmalbienenart um 95 Prozent. […]
Aber auch andere Insektengruppen sind dezimiert. Zikadenpopulationen auf Trockenrasen in Ostdeutschland nahmen über 40 bis 60 Jahre um 54 Prozent ab. Im Feuchtgrünland in Niedersachsen betrugen die Verluste sogar 78 Prozent. Insgesamt zeigen die Untersuchungen in Deutschland, dass die Verluste nicht regional begrenzt, sondern bundesweit zu bemerken sind.
Pestizide
Weltweit ist die Menge der eingesetzten Pestizide seit 1950 um das Fünfzigfache gestiegen. Während der ökologische Anbau weitestgehend ohne sie auskommt, werden in der konventionellen Landwirtschaft weltweit pro Jahr etwa vier Millionen Tonnen chemische Pflanzenschutzmittel eingesetzt.
Der weltweite Umsatz lag 2018 bei 56,5 Milliarden Euro. Prognosen zufolge könnte er bis 2023 auf 82 Milliarden Euro steigen. Vier Chemiekonzerne teilen sich zwei Drittel des globalen Marktes: BASF und Bayer aus Deutschland, Syngenta aus der Schweiz – aber in chinesischem Besitz – sowie der Börsenneuling Corteva in den USA, zuvor die Agrarchemiesparte von DowDuPont. Der Industrieländerorganisation OECD zufolge setzte 2017 Bayer allein mit Pestiziden 11,2 Milliarden US-Dollar um, gefolgt von Syngenta mit 9,4 Milliarden und BASF sowie DowDuPont mit je 7 bis 8 Milliarden Dollar. Inklusive Saatgut liegen die Zahlen noch deutlich höher.
Fleischkonsum
Jedes Jahr steigt die Menge an Fleisch, die weltweit produziert wird. Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) berechnet für 2018 eine globale Produktion von 335 Millionen Tonnen – 1970 war es nur ein Drittel davon.
Der Hunger auf Fleisch hat weitreichende ökologische Folgen – auch für Insekten. Je nach Art der Tierhaltung verändern sich Agrarlandschaften, die Diversität von Pflanzen, die Boden- und Wasserqualität und damit letztlich der Lebensraum von Insekten. Kein anderer Bereich der Landwirtschaft hat mehr Einfluss auf die Ökosysteme als die Tierhaltung.
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Die Tierhaltung hat sich in den vergangenen 50 Jahren grundlegend geändert. Immer weniger Tiere werden auf der Weide gehalten. Der größte Teil des Fleisches kommt aus Stallhaltung oder der Aufzucht in „Feedlots“, in denen die Tiere auf ähnlich geringer Fläche gehalten werden wie im Stall, nur unter freiem Himmel.
Durch diesen dichteren Besatz, bei dem Weidegras wegfällt, und wegen der insgesamt wachsenden Zahl der Nutztiere steigt die Nachfrage nach Futtermitteln aus Getreide oder Ölsaaten. Damit ist die intensive Tierhaltung zu einem der wichtigsten Gründe für Änderungen der Landnutzung geworden – dass also für neues Weideland oder Futtermittelanbau Wald gerodet oder Grünland zu Ackerland umgebrochen wird. So schwinden die Lebensräume der Insekten.
Soja ist der wichtigste Proteinlieferant der intensiven Tierhaltung und wächst inzwischen auf mehr als 123 Millionen Hektar Boden weltweit – eine Fläche 3,5-mal so groß wie Deutschland.
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Europas intensive Tierhaltung würde ohne die Futtermittel des globalen Sojamarktes nicht funktionieren. Auch deswegen versucht die EU seit mehr als zwanzig Jahren, mit den zum Wirtschaftsabkommen Mercosur gehörenden Ländern – Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay – ein Handelsabkommen abzuschließen, das die beiden Regionen zur größten Freihandelszone der Welt machen würde.
Biolandwirtschaft
Verglichen mit der konventionellen Landwirtschaft bietet der ökologische Landbau den Insekten und der Biodiversität deutliche Vorteile.
Eine in Deutschland erstellte Metastudie aus vielen Einzeluntersuchungen weist nach, dass auf ökologisch bewirtschafteten Flächen 23 Prozent mehr blütenbesuchende Insektenarten vorkommen als auf konventionellen Flächen. Es gibt im Mittel 30 Prozent mehr Wildbienen– und 18 Prozent mehr Tagfalterarten.
Nicht nur die Vielfalt der Insekten ist beim ökologischen Landbau besser, auch ihre Anzahl erhöht sich: Im Durchschnitt sind 26 Prozent mehr Blütenbesucher auf den Bioflächen vorhanden, und die Anzahl der Tagfalter ist sogar um fast 60 Prozent erhöht. Ein häufig genutzter Indikator für Biodiversität und Insekten sind Feldvögel. Auf Ökoflächen finden sich 35 Prozent mehr Arten, die dort zudem um 24 Prozent häufiger vorkommen.
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Die Gründe für die positiven Auswirkungen des ökologischen Landbaus auf biologische Vielfalt und Insekten sind verschieden. Er verzichtet auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel, mit denen konventionell wirtschaftende Höfe unerwünschte Kräuter oder Schädlinge bekämpfen. Problemkräuter werden mechanisch entfernt oder über eine vielseitige Fruchtfolge mit jährlich wechselnden Kulturarten reguliert.
Außerdem verwendet der ökologische Landbau keinen mineralischen Stickstoffdünger, sondern baut Klee und Luzerne oder Lupinen an. Die Pflanzen binden Stickstoff und sind somit ein guter Dünger. Gleichzeitig bieten sie Insekten Nahrung und Lebensräume. Die Metastudie aus Deutschland stellte fest, dass die Zahl der auf dem Acker vorkommenden Wildkräuterarten beim Bioanbau im Mittel um 94 Prozent höher lag, und am Ackerrand kamen 21 Prozent mehr Kräuterarten vor.
Im Getreideanbau sind die Auswirkungen des ökologischen Landbaus auf die Biodiversität besonders groß, weil das konventionell produzierte Getreide auf einem intensiven Einsatz von anorganischem Dünger und Pestiziden beruht. Bestäuber reagieren auf Pestizide sehr empfindlich. Verzichtet ein Biobetrieb auf solche Mittel, nimmt der Reichtum an lokalen Bestäubern zu.
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Kritiker und Kritikerinnen argumentieren, dass aufgrund der geringeren Erträge des ökologischen Landbaus die weltweite Anbaufläche wachsen und zuvor ungenutztes Land mit einer hohen Biodiversität in die Bewirtschaftung genommen werden müsse. Auf diese Weise kippe die Bilanz des Ökolandbaus ins Negative, denn ungenutztes Land weise eine höhere biologische Vielfalt auf als Land unter ökologischer Bewirtschaftung.
Diese Kritik ist insoweit berechtigt, als dass der ökologische Landbau in den gemäßigten Breiten geringere Erträge erwirtschaftet als im konventionellen Ackerbau. Daher profitiert die Natur von 100 Prozent ökologischem Landbau nur, wenn durch einen geringeren Fleischkonsum und weniger Verluste an Lebensmitteln Flächen eingespart werden.
Für den globalen Fleischkonsum von inzwischen 327 Millionen Tonnen pro Jahr werden fast 80 Prozent der weltweiten Agrarflächen genutzt. Ein geringerer Fleischkonsum ist also für eine nachhaltige Landnutzung von zentraler Bedeutung.
Bislang fristet der ökologische Landbau in vielen Industrie- und Schwellenländern ein Nischendasein. Global sind es nur 1,5 Prozent der Agrarflächen, in der EU 7 Prozent.
Klimawandel
Der Klimawandel stellt derzeit die zweitgrößte Gefahr für die Artenvielfalt auf der Erde dar – gleich hinter der veränderten Landnutzung, etwa durch Rodungen.
Steigende Temperaturen und extreme Ereignisse wie Dürren, Stürme oder Überschwemmungen wirken sich gleichermaßen auf Insekten und ihre Lebensräume aus. Die Zunahme von Populationen kann meist auf den Klimawandel zurückgeführt werden. Bei Rückgängen sind Analysen oft deutlich schwieriger, weil als Ursache auch negative Folgen der Landnutzung infrage kommen. Bislang beruhen Aussagen über die Auswirkungen des Klimawandels vor allem auf Prognosen und experimentellen Studien. Darauf basierend sind für gut erforschte Insektengruppen einige allgemeine Trends zu erkennen.
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Fachleute schätzen, dass sich etwa in Nordrhein-Westfalen der Klimawandel auf 40 Prozent der Libellenarten und 55 Prozent der Heuschreckenarten positiv auswirkt. Ihnen stehen 14 beziehungsweise 10 Prozent Arten gegenüber, die dezimiert werden.
Anders sieht die Situation bei Tagfaltern aus. Sie stellen deutlich komplexere Ansprüche an ihren Lebensraum. Viele Arten leben bei den Pflanzen, von denen sich ihre Raupen mit Vorliebe ernähren, und sind zudem auf ein Netz aus geeigneten Lebensräumen in direkter Nachbarschaft angewiesen. In Nordrhein-Westfalen werden 34 Prozent der Tagfalterarten als Gewinner und 20 Prozent als Verlierer des Klimawandels eingestuft.
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Ein Forschungsteam an der Universität von Seattle in den USA hat nun kalkuliert, dass die Ernten von Reis, Mais und Weizen infolge veränderter Populationen um 10 bis 25 Prozent pro Grad Erderwärmung sinken.
Die Zahlen sind alarmierend, denn die drei Grundnahrungsmittel stellen zusammen 42 Prozent der vom Menschen weltweit verzehrten Kalorien dar. Die Ernteverluste haben unterschiedliche Ursachen. Der Klimawandel ändert auch das Verhältnis von Schädlingen und Nützlingen. Hinzu kommt, dass die Widerstandskraft der Pflanzen gegen Schädlinge infolge von klimabedingtem Stress sinkt. Unter diesem Stress stehen auch die Bestäuber.
Politik
Auf der Tagesordnung des Erdgipfels in Rio de Janeiro 1992 stand nicht nur der Klimaschutz, sondern auch die Artenvielfalt. Um sie weltweit zu erhalten, wurde die Biodiversitätskonvention geschaffen. Mit ihren mehr als 160 Vertragsstaaten ist sie das umfassendste internationale Abkommen zum Schutz der Natur und der natürlichen Ressourcen.
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Doch trotz einzelner Fortschritte konnte das Ziel, den Verlust der biologischen Vielfalt bis 2010 zu stoppen, nicht erreicht werden. Und heute ist absehbar, dass auch die Verlängerung der Frist bis 2020 nicht reichen wird. […]
Die EU setzt weiterhin auf ein falsches Rezept: Wer viel Fläche hat, bekommt viel Geld. Sie formuliert weder konkrete Ziele für den Arten- und Klimaschutz, noch verpflichtet sie die Mitgliedsstaaten, einen bestimmten Anteil der Agrarförderung für ökologische Ziele einzusetzen.
Ökonomie
Der globale ökonomische Wert der Bestäubung wird auf eine Summe von 235 bis 577 Milliarden US-Dollar im Jahr geschätzt. In der EU sind etwa 12 Prozent der Jahresgewinne im Agrarsektor von ihr abhängig. Für Deutschland wird sogar ein Anteil von 13 Prozent geschätzt, was Verluste von etwa 1,1 Milliarden Euro zur Folge hätte, gäbe es diese Leistung der Insekten nicht mehr.
Auch die Leistung der Mistkäfer für den Abbau von Viehdung oder die der Marienkäfer für den Pflanzenschutz hat einen großen finanziellen Wert. Letzterer liegt jährlich für die USA bei mehr als 4,5 Milliarden US-Dollar.
Auch die Industrieländer-Organisation OECD macht einen „business case“ aus dem Schutz der Biodiversität einschließlich ihrer Insekten. Sie berechnet den globalen Schaden der Untätigkeit für ihre Mitgliedsländer zwischen 1997 und 2011 auf 4 bis 20 Billionen US-Dollar pro Jahr.
Quelle: Insektenatlas2020 – 4.0 international“ (CC BY 4.0). | Titelbild (Schmetterling) Abdullah_Shakoor
Das ist ja schön, dass bio anscheinend wirklich was bringt. 🙂 Hoffentlich entscheiden sich mehr Konsumenten für Bio-Produkte, damit der Biolandbau sich weiter durchsetzen kann.
wenn man nur wüsste, dass bio auch wirklich bio ist, wäre das ja schön, aber so ist es ja eben auch nicht.
BIO ist in Europa ein geschützter Begriff. Wenn BIO draufsteht müssen mindestens die europäischen BIO-Standards eingehalten werden.
Grundsätzlich schön zu hören, aber auch noch ein weiter Weg. Bio mag Bio sein, aber natürlich ist auch nicht kleiner Unterschied zwischen einem demeter-Hof und einem Vertragshändler der großen Supermärkte.